WCAG 2.0 – Neu und anders

Die neuen WCAG 2.0 verändern die Ansprüche an barrierefreie Web-Angebote

Nach gründlichen acht Jahren stehen die neuen Rahmenbedingungen für ein barrierefreies (wer möchte, darf gerne auch „barrierearm“ sagen) Web-Erlebnis kurz vor der Fertigstellung. Wie so oft, stand die Profilierungssucht einzelner „Koryphäen“ einer zügigen Fertigstellung im Weg. „Was lange währt, wird endlich gut“ stimmt im Falle dieser Regeln wirklich und verlangt nach der einen oder anderen Überlegung im Hinblick auf einen barrierefreien Internetauftritt.

Der wesentliche Unterschied zu den alten Regeln ist, dass die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0 nun endlich technikunabhängig formuliert wurden. Sie zielen nicht mehr ausschließlich auf HTML/CSS ab, sondern werden für weitere Technologien (insbesondere Rich Media) nutzbar. Die Arbeit an den neuen Richtlinien wurde 2001 begonnen und ist nun, Ende 2008 – unglaublich, aber wahr – fast abgeschlossen. Im fünfstufigen Freigabeprozess der W3C- (World Wide Web Consortium) Web Accessibility Initiative (WAI) wurde im November mit „Proposed Recommendation“ die vorletzte Stufe erreicht.

Warum interessiert mich das? Weil diese Richtlinien die Basis für alle kommenden Umsetzungen, Analysen und Bewertungen rund um das Thema „Barrierefreiheit“ sein werden und damit sowohl die alten WCAG 1.0, wie alle aus dieser Vorgabe entstandenen Werke ablösen. Hier ist in Deutschland insbesondere die BITV (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) zu nennen – deren Überarbeitung ebenfalls mehr als Überfällig ist.

Die WCAG in der Version 1.0 enthalten 14 Richtlinien mit 65 definierten Erfolgskriterien. Diese Erfolgskriterien wurden in drei Prioritätsstufen unterteilt:

  • muss (16 Erfolgskriterien) erfüllt sein um die Barrierefreiheit zu gewährleisten
  • soll (30 Erfolgskriterien) erfüllt sein um den Zugang deutlich zu erleichtern
  • kann (19 Erfolgskriterien) erfüllt sein um den Zugang weiter zu vereinfachen

Die auf Basis der WCAG 1.0 erstellte BITV arbeitet dagegen mit nur zwei Prioritätsstufen. Alle muss und soll Kriterien werden in der BITV zur Stufe I gezählt, die kann Kriterien bilden die Stufe II.

Im Gegensatz dazu enthält nun die WCAG 2.0 vier Basis-Prinzipien die einer barrierefreien Umsetzung die Hand reichen sollen:

  • Wahrnehmbarkeit (Perceivable)
  • Bedienbarkeit (Operable)
  • Verständlichkeit (Understandable)
  • Technologische Robustheit (Robust)

Diese vier Basis-Prinzipien werden aktuell in 12 Richtlinien und diese in 61 Erfolgskriterien überführt. Offensichtlich hat es hier Veränderungen gegeben. Die WCAG 2.0 kennt keine Prioritätsstufen mehr, sondern teilt die Erfolgskriterien in drei Konformitätsstufen ein:

  • Level A, der niedrigste Level
  • Level AA
  • Level AAA, der höchste Level

Im Gegensatz zu den WCAG 1.0 Kriterien, sind diese nun so konkret formuliert, dass eine objektive Überprüfbarkeit gegeben ist. Ein Beispiel: Kontrastanforderungen sind – anders als in den WCAG 1.0 *1 – klar über Zielwerte definiert *2. Darüber hinaus gibt es zur WCAG 2.0 ergänzende Dokumente, die „Techniques for WCAG 2.0″, in denen, sehr konkret, für unterschiedliche Technologien (rund um das Web) Umsetzungsvorschläge gemacht werden.

Während die Konformitätsstufe A relativ leicht erreichbar ist und die Stufe AA ungefähr dem Anspruch an eine vollständige WCAG 1.0 Konformität entspricht, setzt die Stufe AAA noch eine Schüppe drauf und dürfte nicht von allen Angeboten erreicht werden können. Das W3C bezeichnet diese höchste Stufe (Level AAA), als untauglich für einen allgemeinen Maßstab. Sie ist für einige Inhalte gar nicht erreichbar und das ist aus Sicht des W3C durchaus in Ordnung (aus meiner Sicht auch).

Neben praktischen Details wie der veränderten Überprüfung einer ausreichenden Kontrastierung von Texten, gibt es durchaus Änderungen, die einen veränderten konzeptionellen Aufbau von barrierefreien Angeboten verlangen. War es zum Beispiel mit den WCAG 1.0 zwingend notwendig, dass eine Website bei abgeschaltetem Javascript bedienbar bleibt, so fordern die WCAG 2.0, dass die Scripte selber barrierefrei aufgebaut werden müssen – auf eine Fallback-Lösung ohne Skripte kann in Zukunft dagegen verzichtet werden.

*1Ensure that text and graphics are understandable when viewed without color…

*2The visual presentation of text and images of text has a contrast ratio of at least 5:1…