Der Trend hin zum Zweitleben

Dabei ist alles?! Perspektiven im Metaversum.

Viele Redakteure (insbesondere die, die nicht vom ‚Fach‘ sind) haben in den letzten Monaten entdeckt, dass es eine relativ aufwendig verpackte Chat-Software unter dem Namen ‚Second Life‘ gibt und dass sich darüber prima schreiben lässt.

Die rechtsextreme Front National eröffnet eine Depandance in Second Life und „spontan“ kommt es zur „Virtuellen Demo gegen rechte Front National“ [1]. Super oder? OK – die gesamte „Anti-FN“ Widerstandsgruppe besteht aus knapp 30 Leuten und die waren wahrscheinlich nicht mal alle gleichzeitig bei der Demo. Aber erstmal hört sich das wirklich nach einer tollen Meldung an – oder?!

Diese Qualität haben fast alle Meldungen rund um die „virtuelle Welt“ – meistens viel Rauch um Nichts.

Mir fehlt da wohl der Weitblick. Zumindest einige große und kleine Werbeagenturen sehen wesentlich weiter und entdecken ausgesprochen lukrative Perspektiven hinter Second Life:

„Die Attraktivität virtueller Welten liegt auf der Hand und wird auch zunehmend für Wirtschaftsunternehmen interessant.“ [2]

Mit den „Wirtschaftsunternehmen“ für die es interessant wird, ist wahrscheinlich primär die eigene Agentur gemeint – den anderen, den Kunden, muss man diese Idee daher unbedingt schmackhaft machen – schließlich geht es um Innovation. Auch wenn die Ideen für eine virtuelle Welt locker 20 Jahre alt sind und die Qualität der 3D Engine hinter Second Life an einen der ersten GameBoys erinnert („Neuromancer“ von William Gibson erschien 1984 und ist die Mutter aller Cyperpunkt Romane – lohnt sich sehr. „Snow Crash“ von Neal Stephenson, ebenfalls lesenswert, erscheint 1992 und beschreibt sehr konkret, wie sich wohl auch heute noch ein Spiegel-Redakteur sein Metaversum vorstellt). Das macht alles nix, denn mit Second Life kann man Geld verdienen und dann muss es einfach innovativ sein.

Die in der zitierten Studie [2] aufgelisteten Top-Beispiele für kommerzielle Stützpunkte in der virtuellen Welt sind schon nach wenigen Monaten entweder eingestellt worden, werden nicht mehr aktiv betrieben oder sind von den Besucherzahlen her betrachtet mausetot (was allerdings ein Standard in Second Life ist – außer bei Erotik-Angeboten ist kaum mal ein anderer Avatar zu sehen).

„Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung und auch der jungen Generation in Deutschland verspürt nicht das Bedürfnis, als Kunstfigur extensiv Zeit in einer virtuellen Welt zu verbringen – umso weniger, als die Fülle der Optionen auch im „Real Life“ kontinuierlich zunimmt.“ (WiWo vom 21.04.07)

Ganz so schlimm ist die Wahrheit um Second Life wohl nicht und alleine 7 Millionen World of Warcraft (WoW) Spieler verspüren ein ganz und gar heftiges Bedürfnis nach virtueller Glückseligkeit (zumindest wollen sie diesem giftigen Zwerg aus der letzten Sitzung endlich eins überbrennen). Selbst so altertümliche Angebote wie Foren oder Chats leben nicht zuletzt davon, dass die Teilnehmer leicht in eine andere Haut schlüpfen können – ob nun mit oder ohne dreidimensionaler, visueller Entsprechung spielt wahrscheinlich nur eine untergeordnete Rolle.

Das Web 2.0 zeigt (erfreulich) den Weg zurück zu einem textbasierten Internet und geht weg von animierten aber inhaltsleeren Flash-Angeboten. Gerade damit wird eine grafisch anspruchsvolle Oberfläche zu einer interessanten Ergänzung – ob nun in 2D oder in 3D. Wichtig ist einzig und alleine ob das Angebot die spezifischen Besonderheiten eines Mediums nutzt und damit einen Mehrwert für den Benutzer schafft – der eben in dieser Form in anderen Medien nicht erreichbar wäre. Bei WoW ist diese Besonderheit offensichtlich – bei Second Life muss man schon zweimal hinschauen – ganz besonders wenn es um seriöse und rundherum kommerzielle Angebote geht.

Medienkonzepte arbeitet – in Zusammenarbeit z.B. mit 3D Spezialisten wie den Daywalker Studios Köln [3] – gerne und mit einem professionellen Team in virtuellen Welten. Aber gerade bei diesem „anderen“ Weg muss das Konzept tragfähig sein. Wir wollen mit unseren Kunden nicht blind hinter einem Trend herlaufen, sondern Lösungen schaffen, die den Begriff „outstanding“ gerecht werden.